University of Chicago, USA
Karin Knorr Cetina ist Professorin für Anthropologie und Soziologie an der University of Chicago. Ihr wissenschaftlicher Werdegang vereint eine ausgeprägte Interdisziplinarität und gelebte Internationalität. Nach dem Studium schloss sie die Promotion im Fach Kulturanthropologie ab. Sie wechselte daraufhin von der Universität Wien an das Institut für Höhere Studien Wien und von dort an die University of California Berkeley. Nach Tätigkeiten an mehreren US-amerikanischen Universitäten kehrte sie 1983 nach Europa zurück auf eine Professur für Sozial- und Kulturtheorie an der Universität Bielefeld. Im Jahre 2001 wechselte sie für neun Jahre auf eine Professur für Soziologische Theorie, Wissens- und Finanzmarktsoziologie an die Universität Konstanz, ab 2004 verbunden mit einer ständigen Gastprofessur an der Universität von Chicago sowie einer Mitgliedschaft des "Center for Advanced Studies in the Behavioral Sciences" in Stanford. Seit 2010 ist sie Professorin an den Departments für Anthropologie und für Soziologie in Chicago. Karin Knorr Cetina ist regelmäßig Gast in renommierten Forschungseinrichtungen und lehrt an verschiedenen Universitäten – etwa an der Universität Zürich, am WZB Berlin und an der Copenhagen Business School; 2005 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Universität Luzern.
(v.l.) Stefan Müller-Stach, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der JGU, Karin Knorr Cetina, Preisträgerin des Gutenberg Research Award 2017, Thomas Hieke, GFK-Direktor (Foto/©: Simon Büttner, brikettfilm)
Karin Knorr Cetina hat mehr als 60 Aufsätze in international bedeutenden Fachzeitschriften veröffentlicht sowie drei einflussreiche und preisgekrönte Monographien. Für "The Manufacture of Knowledge: An Essay on the Constructivist and Contextual Nature of Science" (1981, Deutsch 1984) untersuchte sie empirisch das Innenleben der naturwissenschaftlichen Laborforschung und entwarf auf dieser Grundlage eine Theorie der wissenschaftlich-technischen Praxis aus der Sicht alltäglich zu beobachtender Formen der Denk- und Handarbeit von Naturwissenschaftlern. Dieses Buch und sein einzigartiger Ansatz markierten Anfang der 1980er-Jahre einen Durchbruch in der internationalen Wissenschaftsforschung und prägten maßgeblich die zu jener Zeit entstehenden transdisziplinären Science Studies. "Epistemic Cultures. How the Sciences Make Knowledge" (1999; deutsch 2002) analysierte die Wissenspraxis der Hochenergiephysik und der Molekularbiologie aus anthropologischer Perspektive. Es war die international erste Studie, die systematisch zwei Wissenschaftskulturen vergleicht und deren Bedeutung für die moderne Wissensgesellschaft herausstellt.
Seit Mitte der 1990er-Jahre wandte sich Knorr Cetina einer weiteren äußerst einflussreichen Wissensform zu – dem ökonomischen Wissen, wie es sich auf den Finanzmärkten zeigt. Wie keine andere internationale Studie untersucht sie empirisch die Arbeitsweise der Händler auf den sogenannten FX-Märkten (dem Devisenhandel), erhielt erstmalig Zugang zu sensiblen Bereichen der internationalen Finanzinstitutionen und damit die Möglichkeit, Devisenhändler "at work" zu beobachten. Knorr Cetina richtet ihren kulturanalytischen und theoretischen Blick auf die Frage, wie die visuelle Vergegenwärtigung dieses virtuellen Marktes auf Bildschirmen, ökonomisches Wissen der Devisenhändler und interaktive Prozeduren des Handels zusammenspielen und einander ergänzen. Die Ergebnisse ihrer Forschung sind in einer Reihe von Artikeln publiziert; in Kürze erscheint zudem ihr Buch "Maverick Markets: The Virtual Societies of Financial Markets".
Mit ihren beiden Forschungsgegenständen – Naturwissenschaft zum einen, internationale Finanzmärkte zum anderen – hat Knorr Cetina die leistungsstärksten Bereiche der modernen Gesellschaft untersucht. Sie stehen exemplarisch für das Moderne in der modernen Gesellschaft. Aktuell arbeitet Knorr Cetina an einem (bereits in Aufsätzen skizzierten) Buchprojekt, das die theoretische Synthese ihrer bahnbrechenden empirischen Studien ziehen will: die Analyse und Beschreibung der modernen Gesellschaft als einer "Synthetic Society". Hier geht es um die Verknüpfung menschlichen Handelns mit technischen Artefakten und virtuellen Systemen.